Wie Fintech in der Hartz IV – Debatte helfen könnte

Seit sich der neue Gesundheitsminister Jens Spahn im Rahmen eines Interviews über Armut geäußert hat, ist in Medien, Politik und Gesellschaft die Diskussion über Hartz IV heftig aufgeflammt. Bei der Frage, wie Betroffene mit ihrem Geld auskommen können, könnten Fintech und FinEdu wertvolle Hilfestellung geben. Meine Gedanken zu einem kontroversen Thema.

Diskussion über Armut

Er wollte nach eigenem Bekunden gerade keine Schlagzeilen liefern, als er in einem Zeitungsinterview seine viel beachtete Aussage zu Hartz IV machte. Auf die Frage, ob Hartz IV zu leben reiche, antwortete der ehemalige Fintech-Beauftragte der Bundesregierung folgendermaßen:

„Die gesetzliche Grundsicherung wird mit ­großem Aufwand genau bemessen und regelmäßig angepasst. Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. Diese Grundsicherung ist aktive Armutsbekämpfung! Damit hat jeder das, was er zum Leben braucht. Mehr wäre immer besser. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass andere über ihre Steuern diese Leistungen bezahlen.“

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CDU-Politiker Jens Spahn (Quelle: Jens Spahn/Pressekit)

Was folgte, war ein Aufschrei in klassischen und sozialen Medien sowie der Politik. In der Folgezeit kam keine größere Zeitung und kaum ein Fernsehsender ohne einen Erfahrungsbericht von Betroffenen aus. Klarer Tenor: der Sozialleistungen sind viel zu niedrig und ein menschenwürdiges Leben kaum möglich. Am Ende folgte dann meist die Forderung nach höheren Sätzen und die Aufforderung an Jens Spahn, selbst einmal einen Monat mit dem wenigen Geld auszukommen.

Das Geld reicht – wenn man vernünftig plant

Nun weiß ich nicht, ob Jens Spahn diesen Selbstversuch bestehen würde. Als Bundestagsabgeordneter und Bundesminister erhält er „staatliche Leistungen“, die weit oberhalb der „Stütze“ liegen. Mich aber hat diese Forderung neugierig gemacht: könnten meine Familie und ich das? Die Antwort lautet: ja. Woher ich das wissen will? Weil ich es durchgerechnet habe – mit Excel.

Als vierköpfige Familie stünden uns 2.375 Euro monatlich zu. Unsere aktuellen Echt-Kosten liegen ein Stück drüber. Ziehe ich aber alles ab, was ich als Dauerbezieher nicht mehr bräuchte (private Rentenversicherung, BU, Kirchgeld, 2. Auto, GEZ,…), haut es hin. Aufbau kleiner Rücklagen für Unvorhergesehenes inklusive. Was sich bis hierhin wie Selbstbeweihräucherung liest, bekommt gleich den gewohnten Fintech-Twist. Denn die Frage ist: warum kämen wir so damit aus?

Weil ich einen sehr genauen Überblick über unsere Finanzen habe und entsprechend plane. Ich führe seit Beginn meiner Ausbildung akribisch Haushaltsbuch und gebe jeden Kassenbon detailliert in eine Excel-Tabelle ein. Die zeigt mir, wofür ich jeden Monat wie viel Geld ausgebe – und ob ich noch innerhalb meines Budgets liege. Und eine zweite Excel-Tabelle gibt mir einen Überblick über meine gesamten Einnahmen und Ausgaben, einschließlich notwendiger monatlicher Rücklagen für quartalsweise oder jährlich fällige Ausgaben.

Kaum einer plant – Fintech könnte helfen

Ok, ich bin Diplom-Kaufleute (FH) und hatte meinen Schwerpunkt in Bilanzanalyse. Der Umgang mit Zahlen liegt mir sozusagen im Blut. Damit bin ich allerdings eher eine Ausnahme – und das ist das Problem. Die wenigsten Menschen können mit Geld umgehen und planen. Was unter anderem daran liegt, dass solche Themen in der Schule nicht vermittelt werden. Darüber hatte sich Anfang 2015 bereits eine 15-Jährige Schülerin namens Naima auf Twitter beschwert und damit damals eine Diskussion ausgelöst. Getan hat sich seitdem – natürlich – nichts.

Doch Technologie könnte hier perspektivisch helfen. Eines der spannenderen Features der Anfangstage von N26 war ein rudimentären PFM-Tool. Das sortiert die Kontoumsätze in übergeordnete Kategorien wie „Lebensmittel“, „Transport“ oder „Shopping“ und verschafft den Nutzern damit einen groben Überblick über ihre Finanzen. Das ist zumindest der erste Schritt zu einem digitalen Haushaltsbuch. Eine sinnvolle Weiterentwicklung wäre es, wenn der User einfach den Kassenzettel per Smartphone-Kamera einscannen und detailliert auswerten lassen könnte. Also analog zur Fotoüberweisung von gini. Als nächstes bräuchte es eine smarte Budget-Funktion, wie sie in einer frühen Entwicklungsstufe z.B. in der Kontoticker-App von StarFinanz und Haspa entwickelt wurde.

Schneller Fortschritt durch neue Technologien

Das ist zwar bisher noch alles sehr rudimentär, bietet aber eine Menge Potential für die Zukunft. Wesentliche Treiber der weiteren Entwicklung dürften PSD2, Machine Learning und Big Data sein. Die EU-Richtline PSD2 steht dabei für mich stellvertretend für API-Entwicklungen rund ums Open Banking. Damit erhalten innovative Drittanbieter Zugriff auf die Bankkonten der Nutzer und damit die Umsatzdaten. Diese bilden die Grundlage für eine belastbare Finanzplanung.

Machine Learning kann diese Umsätze automatisiert analysieren und mit jedem Monat besser vorhersagen, wann wofür wie viel Geld ausgegeben wird. Daraus lassen sich dann belastbare Budgets planen und Tipps für das Anlegen von Rücklagen generieren. Im Rahmen von Big Data und Data Analytics könnten schließlich Peer Group-Vergleiche generiert werden. Erst wenn mir bewusst gemacht wird, in welchen Bereichen ich deutlich mehr Geld ausgebe als meine Vergleichsgruppe, kann ich mein Ausgabenverhalten hinterfragen.

Smarte Analyse-Tools könnten mir dann gleich individuelle Einspar-Tipps geben. Raus aus dem Grundversorger-Tarif hin zum günstigsten Stromanbieter. Weg vom Telekom-Vertrag hin zu 1 und 1. Und künftig vielleicht noch verknüpft mit sinnvollen Hinweisen auf Basis der Detailanalyse des Kassenzettels. Das könnte z.B. so aussehen: „Kauf doch nächstes Mal anstelle der Barilla-Nudeln für 1,59 Euro je Packung die Gut-und-Günstig-Nudeln für 39 Cent – die haben im aktuellen Test der Stiftung Warentest genauso gut abgeschnitten.“

Technik allein reicht nicht – Financial Education tut Not

Die Technologie allein wird das Problem aber vermutlich nicht lösen. Schon allein deshalb nicht, weil sie derzeit noch überhaupt nicht in ausgereifter Form zur Verfügung steht. Vieles ist zwar in Ansätzen vorhanden, dann aber nicht in einem Angebot ganzheitlich integriert. Wichtig für die Nutzung solcher Angebote wäre zudem zunächst einmal die Erkenntnis, dass diese nötig und hilfreich sind.

Problem: über Geld spricht man nicht. Weder im Elternhaus noch in der Schule. Was es also braucht, ist Financial Education. Ein spannendes Beispiel dafür ist das Start-Up FinGym. Die Hamburger wollen ihren Nutzern das nötige Finanzwissen vermitteln, damit diese ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können. Das funktioniert digital mit kleinen Wissenseinheiten, medial unterstützt mit kurzen Videos.

Screenshot FinGym Homepage
Homepage von FinGym (Quelle: Screenshot)

Financial Education dieser Art könnte gut die Lücke füllen, die Schule und Elternhaus bisher nicht zu schließen vermögen. Wobei die Erfahrung zeigt, dass diejenigen, denen es am meisten helfen würde, das Investment in so einen Kurs am ehesten scheuen. Das könnte man allerdings im Zweifel mit vom Amt gesponserten Bildungsgutscheinen heilen.

Die Moral von der Geschicht‘

Natürlich sind die staatlichen Leistungen im Rahmen von Hartz IV nicht üppig bemessen und ermöglichen kein Lebens im Luxus. Bei einem bewussten und planvollen Umgang mit den eigenen Finanzen reichen sie aber für die meisten, um ein geregeltes Leben damit zu führen.  Dafür ist es aber nötig, die Betroffenen in die Lage zu versetzen, ihre Finanzen in den Griff zu bekommen. Fintech und FinEdu können dabei perspektivisch eine wichtige Rolle spielen.

Hinweis zum Artikel

Ich weiß, dass ich ein sehr kontrovers diskutiertes Thema als Aufhänger für meine eigentlichen Fintech-Überlegungen gewählt habe. Es geht mir ausdrücklich nicht um eine Diskussion um die Höhe von Hartz IV – das ist Aufgabe von Gesellschaft und Politik. Mir geht es um das Problem, dass gefühlte 90% der Menschen keinen Überblick über ihre Finanzen haben. Und darum, aufzuzeigen, wie Fintech und FinEdu dieses Problem lösen könnten.

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7 Kommentare

  1. Leider wissen viele Betroffene noch nicht, welche neuen Möglichkeiten sich durch die neuen fintech Unternehmen ergeben.
    Im Kontext mit Hartz IV sehe ich z.B. die deutlich gesunkenen Überweisungsgebühren bei Anbietern wie Azimo oder WorldRemit für online Überweisungen von einer Kreditkarte aus.
    Und entsprechende günstige prepaid Kreditkarten gibt es auch immer mehr, sogar mit Kontofunktion.
    Daher stimme ich Dir voll und ganz zu, dass Aufklärung unheimlich wichtig ist!

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