Ohne Kundenfokus geht es nicht

Customer Experience ist der neue Schauplatz der Finanzbranche! Für die zunehmende Bedeutung der Customer Experience spielen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle. Ganz vorne mit dabei sind natürlich das Internet und der alltägliche Gebrauch des Smartphones. Beide haben dazu beigetragen, dass die Kundenerwartungen immer weiter ansteigen.

Privatkunden, aber immer öfter auch Firmenkunden, sind mittlerweile fast nur noch mobil unterwegs und von Amazon & Co. andere Services gewohnt, als ihnen die klassische Bank bisher bietet. Die Folge davon ist, dass mittlerweile bereits jeder sechste Bundesbürger mindestens eine Finanz-App von branchenfremden Anbietern nutzt.

Damit diese Abwanderungsbewegung nicht weiter ungehindert voranschreitet, sind positive Kundenerlebnisse im Banking entscheidend geworden. Denn im Gegensatz zu früher ist der Finanzmarkt heute alles andere als konkurrenzlos: Neue Wettbewerber bieten gleiche oder ähnliche Produkte an und das teilweise zu attraktiveren Konditionen. Nur mit einer überragenden Customer Experience können Banken den potenziellen Wechsel ihrer Kunden zur Konkurrenz verhindern.

Digitale Customer Experience

Wer die Verantwortlichen einer Bank zum Thema Customer Experience befragt, wird oft hören: Alles in Ordnung. Bei vielen herrscht die Überzeugung: Wenn der Kunde sich nicht beschwert, wird schon alles gut sein. Das verdeutlichen ja auch die stabilen Kundenzahlen.

Eine in meinen Augen falsche Einstellung. In der heutigen Zeit ist eine stabile Kundenzahl negativ zu sehen. Nur weil jemand seine Hausbank nicht wechselt, bedeutet das nicht, dass er nicht in derselben Zeit neue attraktive Geschäfte woanders tätigt. Banken bekommen meist gar nicht mit, dass ihre Kunden Versicherungen bei Verivox abschließen, Tagesgeld bei einer Direktbank parken, Aktien über eToro handeln und Geldbewegungen immer öfter via PayPal oder Google Pay abwickeln. Dieses Szenario ist mittlerweile sehr verbreitet, wie die Studie „Evolving the Customer Experience in Banking“ der internationalen Managementberatung Bain & Company belegt.

Abgesehen davon planen laut der comdirect Fintech-Studie knapp 20% der Kunden bereits einen Wechsel ihrer Hausbank. Dabei wird die neue Hausbank nicht unbedingt die klassische Bank sein. Mobile Finance ist die Zukunft. Und in dieser Welt existiert keine enge Bindung zwischen Bankberater und Kunde. Hier geht es einzig und allein um einfache Navigation, schnellen Seitenaufbau, Bequemlichkeit – also um Customer Experience.

Messen wann & warum der Kunde verloren geht

Zwar stellen immer mehr Banken neue Anwendungen online zur Verfügung, aber der Zuspruch der Kunden ist oft nicht so wie erwartet. Dies hängt meist damit zusammen, dass die Anwendungen zwar optimal in die Abläufe der Bank und ihrer IT-Systeme passen, aber leider nicht zum Anspruchsdenken der Kunden. Die Anwendungen sind von der Bank her gedacht, sie müssten aber aus Kundensicht designt werden. Damit traditionelle Banken mit aufstrebenden Fintechs mithalten können, müssen sie sich in die Lage des Kunden versetzen. „You’ve got to start with the customer experience and work backwards to the technology – not the other way round”, sagt Steve Jobs bereits 1997. Und das gilt auch heute noch unverändert, vor allem fürs Banking.

Dass die Abläufe, Formulare und Fragen aus Bankensicht designed wurden, führt dazu, dass Endkunden den gesamten Prozess als unübersichtlich und mühsam empfinden. Kommen sie an einen Punkt, an dem sie nicht weiter wissen oder wird es ihnen einfach zu langatmig, dann brechen sie den Vorgang ab. Ganz im Sinne “Mal sehen, ob es das Produkt bei Verivox oder N26 nicht schneller und einfacher gibt”. Das ist natürlich der Super-Gau für Banken, besonders in Zeiten, wo der Wettbewerber nur einen Mausklick entfernt ist. Hohe Abbruchraten sind Gift für Neukundengewinnung und Umsatzgenerierung.

Eine der größten Herausforderungen besteht daher darin zu erkennen, wo genau das Problem liegt und an welcher Stelle angesetzt werden muss, um es zu beheben. Messen zu können, wann und wo der Kunde verloren geht. Besser noch, man wüsste bereits im Vorfeld, ob die Anwendungen und ihre Abläufe dem Kunden gefallen. Aber so zu Denken wie ein Kunde ist gar nicht so einfach. Zu verstehen, ob eine aus Bankensicht optimal wirkende Anwendung auch beim Kunden ankommt, ist für Banker oft schwer.

Transaction Effort Score

Doch es gibt Möglichkeiten, den Aufwand zu messen, den ein potenzieller Kunde bei einem digitalen Geschäftsvorgang wahrnimmt. Eine davon ist der von Avoka entwickelte Transaction Effort Score (TES). Das TES-Auswertungstool analysiert alle Schritte, die notwendig sind, um einen Kreditantrag oder eine Kontoeröffnung online abzuschließen, und generiert einen „Score“. Dieser Score kann dann verwendet werden, um zu optimierende Bereiche zu identifizieren. Dabei werden unter anderem folgende Faktoren analysiert:

  • Wieviel Zeit nimmt der gesamte Vorgang in Anspruch – wie viele Fragen müssen beantwortet werden, bis der Kunde am Ziel ist?
  • Kann man problemlos und vor allem intuitiv innerhalb des Vorgangs hin und her springen?
  • Wie viele Tastendrücke sind erforderlich, um ein Feld auszufüllen? Sind die benötigten Informationen etwas, das ein Verbraucher ad-hoc weiß (z.B. seine Telefonnummer) oder etwas, das er nachschlagen muss (z.B. seine Steuer-ID).
  • Unterstützt die Anwendung Responsive Design und wurde sie für ein mobiles Erlebnis gestaltet?
  • Können Belege elektronisch erfasst werden (Foto mit der Kamera des Smartphones) oder müssen sie umständlich in Papierform eingereicht werden?
  • Kann der Kunde sich digital identifizieren (z.B. über Scan des Ausweise mittels Handy-Kamera) oder muss er sich umständlich in der Bank oder via Post-Ident legitimieren?

Viele Tastenanschläge, verwirrende Fragen, die Notwendigkeit, eine Filiale persönlich aufzusuchen – all das kann dazu beitragen, dass ein Online-Vorgang abgebrochen wird. TES identifiziert diese Probleme und liefert Vorschläge, die das Ergebnis verbessern können. Grundlage des TES sind Branchendaten von internationalen Institutionen wie u. a. Notenbanken, großen Investmentfirmen, Regierungsbehörden und Versicherungsunternehmen. Für den TES-Ansatz wurden bewährte Modelle, die von Anbietern ausgelagerter Datenerfassungsservices verwendet werden, mit Webdesign-Best Practices kombiniert.

Mithilfe des TES können Banken die Abbruchraten bei digitalen Vorgängen um 20-50 Prozent senken und die Abschlussraten um über 30 Prozent verbessern. Begleiten sollten Banken dies natürlich durch eine immer wiederkehrende Analyse der tatsächlich stattfindenden Onboarding-Prozesse. Hier ist vor allem wichtig zu sehen, wo die meisten Kunden eine Online-Transaktion abgebrochen haben, um genau hier beim Design der Anwendung einzugreifen und die Customer Experience zu verbessern.

Frischekick durch FinTech-Kooperationen

Wenn es eine Branche gibt, die es versteht, sich ständig neu zu erfinden, dann ist das die IT-Branche. Kein Wunder, denn Start-Ups zwingen sie dazu. Wer heute Marktführer ist, kann morgen schon zum alten Eisen gehören. Aber gerade etablierte Unternehmen können nur schwer das Ruder herumreißen. Ein Tanker ist eben kein Schnellboot. Das hat die IT-Branche früh erkannt und setzt daher schon länger auf Kooperationen oder komplette Übernahmen von aufstrebenden Start-Ups mit neuen Ideen und erfolgreichen Geschäftsmodellen.

An Kooperationen dieser Art kommen über kurz oder lang auch die klassischen Banken nicht vorbei. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Finanzinstitute einfach zu langsam sind. Der Wille ist da, doch an der Umsetzung hapert es noch. Über Jahrzehnte gewachsene IT-Infrastrukturen, komplexe Arbeitsabläufe, umfangreiches Berichtswesen, alte Anwendungen – sowie der Zwang auf das Offline-Business (die Filialen) Rücksicht zu nehmen bremsen die Banken oftmals an der Umsetzung neuer Innovationen. Dass in so einem Umfeld Innovationen auch und gerade im Bereich Customer Experience nicht über Nacht passieren, ist irgendwie verständlich.

Und genau hier können FinTechs helfen. Fintechs bieten in den meisten Fällen einen innovativeren und vor allem kundenorientierteren Ansatz. Es handelt sich meist um Unternehmen, die von jungen Menschen geführt werden, die mit Smartphone und Tablet aufgewachsen sind und daher Produkte entwickeln, die ihrer eigenen und damit der aktuellen Kundenmentalität entsprechen. Das Gute, einige der klassischen Banken haben bereits erkannt, wie nützlich ihnen FinTechs sein können. Immer öfter tun sich die Gegner zusammen, um ein Win-Win aus Kundenstamm und neuen digitalen Lösungen zu schaffen. Beispiele sind die Direktbank ING mit Yolt oder die HSBC mit dem Fintech Bud.

Fünf vor Zwölf aber noch nicht zu spät

Bisher ist es den Banken nicht gelungen, schnell genug attraktive digitale Produkte zu kreieren (siehe die Zahlen des aktuellen Avoka Reports ‘State of Digital Sales in Banking). Auch in Zukunft darf man pessimistisch sein, denn etablierte Branchen tun sich immer schwer, sich auf Neues einzulassen. Banken müssen aber neue Wege finden, interessant zu bleiben und die Anforderungen der Kunden, vor allem der mobilen Kunden, bestmöglich zu erfüllen. Gelingt ihnen das nicht, geraten sie in Gefahr, die Aufmerksamkeit der Kunden zu verlieren.

Noch haben die Banken einen Vertrauensvorschuss gegenüber neuen Wettbewerbern. Vor allem haben sie die größten Einlagen und die meisten Kunden. Allein das Team Deutsche Bank und Postbank verfügt über 20 Millionen Kunden. Finanzinstitute müssen, um künftig im Wettbewerb um den mobilen Kunden zu bestehen, dem Thema Customer Experience mehr Bedeutung geben und über Kooperationen mit Fintechs nachdenken.

Über den Gastautor:

Profilfoto Christian Brüseke

Christian Brüseke verantwortet als General Manager die DACH Region bei Avoka.

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