Die Blockchain löst (noch) keine Probleme

Wenn es derzeit ein Hype-Thema in der Bankenbranche gibt, dann ist es die Blockchain. Sie scheint das Wundermittel, um Kosten zu senken und Effizienzen zu heben. Dabei gibt es bislang (noch) kaum einen praktischen Anwendungsfall, in dem sie klassischen Datenbanken überlegen wäre. Warum sich Bankmanager dennoch damit beschäftigen sollten.

Auf dem Branchentreffen der Payment-Branche „EHI-Kartenkongress“ am 25.04. sorgte Frank Thelen für ein Raunen im Plenarsaal des Bundestages. Der Tech-Investor – bekannt aus der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ – wird zitiert mit dem Worten: „Jeder Banker ab der mittleren Managementebene, der nicht die #blockchain erklären kann, sollte sofort seinen Job verlieren. Das ist Basiswissen“.

Twitter-Zitat von Frank Thelen zur Blockchain
Tweet vom EHI Kartenkongress im Bundestag (Quelle: Screenshot / Tweet von Martin Seufert)

Sowohl das Zitat als auch die Reaktion darauf zeigen, wie weit sich die Speerspitzen der Digitalisierung von den Fach- und Führungskräften der Finanzbranche abgesetzt haben. Klar ist, dass die Blockchain als Grundlagentechnologie das Potential hat, die gesamte Weltwirtschaft, aber auch die Gesellschaft zu verändern, wie es zuletzt das Internet getan hat (und noch immer tut). Gleichzeitig ist die Technologie für den Großteil der Menschen immer noch kaum greifbar und zudem stellt sich die Frage, nach konkreten Anwendungsfällen.

Vorteile der Blockchain greifen derzeit noch nicht

Über diese habe ich in den letzten Wochen intensiv nachgegrübelt, als ich – wie passend zum Eingangszitat – eine einstündige Grundlagen-Keynote zum Thema Blockchain für das Top-Management einer Bank vorbereitet habe. Und während ich keine Probleme hatte, die Grundzüge der Blockchain auf Einsteiger-Niveau zu erklären, war es schon deutlich schwieriger, gute Anwendungsfälle der Blockchain zu finden.

Die Mehrwerte der Blockchain-Technologie sind ja schnell aufgezählt:

  1. Die Notwendigkeit des Vertrauens in eine zentrale Instanz (z.B. Regierung, Zentralbank oder Unternehmen) wird ersetzt durch das Vertrauen in die Technologie. Das wird im Wesentlichen erreicht durch Kryptographie, Open Source und Transparenz der Transaktionen.
  2. Die Blockchain ist per Design grundsätzlich manipulationssicher – auch wenn es hier zumindest in der Theorie einige Vorbehalte gibt.
  3. Durch seine dezentrale Struktur ist die Blockchain an sich auch praktisch ausfallsicher, solange die Nodes jeweils eine vollständige Kopie vorhalten. Das macht die Daten grundsätzlich unempfindlich gegenüber Hackerangriffen oder staatlichen Eingriffen z.B. in Diktaturen.

Insbesondere der erste Punkt wird oftmals als der zentrale Vorteil der Blockchain angeführt. Und wirklich: wenn ich in Venezuela wohne und den Beamten des lokalen Grundbuchamtes nicht vertraue (Stichwort: Korruption), wäre ein dezentrales Grundbuch auf Basis der Blockchain Gold wert. Manipulationssichere Wählerverzeichnisse wären für die Bürger von Simbabwe vermutlich ein Segen. Und anonyme und kostengünstige Zahlungen in einer werthaltigen Währung würden Menschen in Krisenregion helfen.

In den westlichen Demokratien, aber auch in vielen anderen Industrienationen stellt sich allerdings schon die Frage nach den tatsächlichen Mehrwerten. Wo das Vertrauen in die zentralen Instanzen intakt ist, sind klassische zentrale Datenbanken in der Regel schneller, günstiger und einfacher als die Blockchain.

Auch die Blockchain hat Nachteile

Denn wo Licht ist, ist meist auch Schatten. Im Gegenzug zu den Mehrwerten, kauft man sich dann einige Themen ein, die man eher unter Nachteile einbuchen muss:

  1. Die inhärente Transparenz wird gerade in der Finanzbranche eher negativ gesehen – sie verträgt sich nur bedingt mit dem hochheiligen Bankgeheimnis. Die Idee, dass jeder jederzeit meinen Kontostand einsehen kann, klingt irgendwie nicht gerade erstrebenswert.
  2. Die Dezentralität hat auch immer wieder seine Kehrseiten, denn Fehltransaktionen können nicht mal eben von einer zentralen Instanz korrigiert werden. Für Menschen in Diktaturen sicherlich schön, aber im normalen Wirtschaftsleben einer demokratischen Industrienation eher nachteilig. Auch gesellschaftspolitisch ist es mindestens unschön, wenn die Blockchain u.a als unlöschbarer Speicher für strafbare Inhalte wie z.B. Kinderpornografie missbraucht wird.
  3. Und dann wäre da noch der extreme Energiehunger und die langsame Transaktionsgeschwindigkeit, durch die sich zumindest Blockchains auf Basis des Proof-of-Work-Ansatzes mit ihrem Mining auszeichnen.

Lösung sucht Problem

Aktuell sucht man weitgehend vergeblich nach Themen, die geradezu nach einer Blockchain schreien. Die meisten Ideen, die im Rahmen der Diskussionen als Anwendungsfälle genannt werden, sind ebenso mit herkömmlichen Datenbanken lösbar. Und so wirkt die Blockchain aktuell eher nach einer Lösung, die ein Problem sucht, das sie lösen kann.

Wobei man an dieser Stelle noch einmal klarstellen muss, dass es die eine Blockchain ohnehin nicht gibt. Es gibt einerseits verschiedene Evolutionsstufen oder Generationen (1. = Bitcoin, 2. = Ethereum, 3. = IOTA & Co.) und andererseits verschiedene Konzepte von öffentlichen, privaten oder gemischten Blockchains. Vielmehr ist die Blockchain eher ein theoretisches Gedankenmodell rund um die Distributed Ledger Technologie  (DLT)einer Grundlagentechnologie – so, wie es das Internet mit seinen vielen verschiedenen Protokollen ist.

Das heißt aber nicht, dass die passenden Probleme nicht irgendwann in naher Zukunft auf gefunden werden. Im Bereich der Außenhandelsfinanzierungen (Trade Finance) zeichnen sich erste konkrete Ansätze bereits ab. Auch und gerade rund ums Internet of Things (IoT) könnten sich weitere relevante Anwendungsfälle ergeben – z.B. mit den Datenmarktplätzen von IOTA und den sich ergebenden Micropayments. Weitere andere Ideen werden sicherlich folgen.

Was ein Banker über die Blockchain wissen sollte

Damit stellt sich die Frage, was ein Bankmanager tatsächlich über die Blockchain wissen sollte. Und hier muss man sicherlich abschichten. Ein IT-Vorstand und Manager seines Ressorts sollten schon die Technologie an sich bis zu einem gewissen Level durchdrungen haben, so, wie sie auch über Mainframes, Netzwerke und das Internet bescheid wissen müssen. Das ist schon allein deshalb wichtig, weil sich Banken immer stärker mit der Blockchain beschäftigen werden und die IT für die technische Einbindung verantwortlich sein wird.

Die anderen Bankmanager werden dagegen eher das theoretische Grundkonzept der DLT verstehen müssen. Ihre Aufgabe ist es, die Chancen, aber auch die Risiken und Bedrohungen für ihr Geschäftsmodell zu erkennen und entsprechend zu (re)agieren. Denn ebenso wenig, wie das Internet Banken und Finanzdienstleister überflüssig gemacht hat, wird die Blockchain das tun. Sie ist als Grundlagentechnologie eben nur ein Werkzeug, das von Unternehmen genutzt wird – oder eben nicht.

Banken und ihre Manager müssen erkennen, wo die Blockchain genutzt werden könnte, um die Banken anzugreifen und entsprechende Strategien entwickeln, dem entgegenzusteuern. Und gleichzeitig die Chancen erkennen, die ihnen diese Technologie bietet. Dabei könnten sie ggfs. sogar auf bewährten Geschäftsbereichen aufbauen. Z.B. im Banking.

Die Blockchain bietet Chancen für die Banken, die sie ergreifen

Da bietet die Bank heute ein – meist kostenloses – Girokonto an, dazu ein hoffentlich tolles Online- und Mobile Banking. Künftig nutzt der Kunde im Zweifel eine kostenlose Bitcoin-Adresse, benötigt aber weiterhin ein bequem und intuitiv bedienbares Interface. Auch das könnte von den Banken kommen. Die würden sich die  Kosten für das Konto sparen, weiterhin die Banking-Oberfläche stellen und dann die anfallenden Transaktions- und Metadaten nutzen, um Cross-Selling zu betreiben. Dafür müssten eigentlich entsprechende Krypto-Wallets in die Banking-Apps integriert werden. Die Banken würden hier von ihrem gewachsenen Trust profitieren und würden Nutzern den Einstieg in die Kryptowelt damit erleichtern.

Und auch wenn die Krypto-Community immer wieder mantraartig die Idee propagiert, dass die Blockchain teure Mittelsleute ausschalten würde (Stichwort: „Cut out the middle-man“) – ich glaube nicht daran! Menschen mögen soziale Tiere sein, aber sie vertrauen nicht blind anderen Menschen, die sie nicht kennen. Natürlich könnte man Peer-to-Peer-Lending über Smart Contracts über die Blockchain abbilden. Aber will ich als Privatperson tatsächlich das komplette Ausfallrisiko tragen? Der bisher mäßige Erfolg des Crowdlendings im Vergleich zum klassischen Spargeschäft der Banken spricht eine andere Sprache. Es braucht mindestens eine Plattform mit einer vertrauenswürdigen Brand und idealerweise einem Bewertungssystem. Dieses Feld könnten Banken ebenso besetzen.

Fazit

Natürlich hat Frank Thelen recht mit seiner Aussage: Bankmanager müssen sich zwingend mit der Blockchain auseinandersetzen. Allerdings sollte es dabei weniger um die technischen Grundlagen in der Tiefe gehen, sondern um ein Verständnis davon, welche Chancen, Risiken und Bedrohungen aus dieser Grundlagentechnologie erwachsen. Auch wenn die Blockchain derzeit keinen erkennbaren Mehrwert gegenüber aktuellen Datenbanksystemen bietet: das wird noch kommen. Das Internet war vor 25 Jahren auch noch eine Spielwiese für Computernerds, heute ist es das bestimmende Medium. Die Blockchain/DLT hat ein ähnliches Potential. Nur, weil wir heute noch keine sinnvollen Anwendungen auf dieser Basis sehen, muss das in 5, 10 oder 15 Jahren nicht so bleiben. Besser, man bereitet sich schon heute darauf vor.

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