Banking im Kontext

Der Wettbewerb im Privatkundengeschäft hat sich in den letzten Jahren weiter verschärft. Dafür sorgen nicht nur die Retailbanken selbst, sondern auch eine ganze Reihe neuer Spieler wie Fintechs und branchenfremde Anbieter. Wer hier die Oberhand behalten will, der muss sich schon ein bisschen mehr einfallen lassen, als traditionelles Marketing mit Fernsehspots und Sponsoring. Die erfolgreichsten Anbieter warten nicht darauf, dass ihre Kunden zu ihnen kommen, sondern sprechen sie gezielt in den Situationen an, in denen der Kunde sie braucht. Das Zauberwort heißt: Banking im Kontext.

Natürlich sind die Zeiten vorbei, in denen Banken und Sparkassen miefige, fast behördengleiche Institutionen und Kunden mehr Bittsteller denn König waren. Die Banken stehen mehr denn je in einem harten Wettbewerb um die Gunst der Kunden. Das kostenlose Girokonto nebst Begrüßungsgeld – im Handel wäre es als Dumping verboten – ist nur ein Zeugnis dafür. Das hat die Banken bisher allerdings kaum dazu veranlasst, die Art und Weise anzupassen, mit der sie Kunden für ihre Produkte zu gewinnen versuchen.

Die Kundenansprache der Kreditinstitute ist weiterhin relativ statisch: noch immer werden große Teile der Werbebudgets für klassische Marketingkampagnen verwendet: Fernsehspots, Sportsponsoring, Print- und Plakatwerbung. Nach dem Gießkannenprinzip werden mit hohen Streuverlusten Produktbotschaften in die Welt gesendet. Der Fokus der Banken liegt auf den eigenen Produkten und nicht auf dem Kunden. Der kommt dann zur Bank, wenn er das beworbene Produkt braucht. Oft genug kommt er aber auch gar nicht mehr.

Next Best Offer allein reicht nicht

Natürlich merken auch die Banken, dass sie damit allein immer weniger Kunden erreichen in einer Welt, die mehr denn je Wert auf Individualität legt. Auf der Grundlage von Data Analytics – also der systematischen Auswertung ihrer Kundendaten – versuchen sie, Kunden individueller anzusprechen. Wie man es z. B. von Amazon kennt, wird per Next Best Offer ein passendes Produkt angeboten. Das ändert allerdings nur wenig am Grundproblem: Produktfokus statt Kundenfokus.

Nun sind Finanzen vieles, nur eines nicht: ein sexy Produkt. Menschen wollen sich lebensnotwendige, nützliche oder schöne Dinge kaufen, Reisen oder einen ruhigen Lebensabend genießen. Finanzen sind in diesem Zusammenhang lediglich Mittel zum Zweck, ein notwendiges Übel, mit dem man sich nur beschäftigt, wenn es unbedingt sein muss. Wer im Wettbewerb erfolgreich sein möchte, darf deshalb nicht darauf warten, dass die Kunden dank einer Produktwerbung zu ihm kommen. Er muss vielmehr geräuschlos bereit stehen, wenn der Kunde ihn braucht.

Was Banking im Kontext bedeutet

Dazu müssen sich die Banken die typische Customer Journey ihrer Kunden anschauen – die für ihre Finanzprodukte, aber besonders die für die Konsumwünsche der Kunden.  Die relevante Frage lautet dann nicht mehr „Welches Produkt will ich dem Kunden verkaufen?“, sondern vielmehr „Wann und in welchem Kontext braucht mich der Kunde?“. Das bedeutet einen grundlegenden Kulturwandel für die Kreditinstitute.

Die Bank an sich tritt mit ihren Produkten damit in den Hintergrund und muss es schaffen, sich unauffällig und vor allem nahtlos als Dienstleister in Prozesse einzubinden und dem Kunden einen konkreten Mehrwert bieten. Dabei ist es essentiell, den Fokus auf eine gute UX zu richten. Wie so etwas ganz konkret aussehen kann, zeigen einige spezialisierte Banken und Finanzdienstleister schon seit Jahren erfolgreich im Handel.

Bequeme Kredite im Handel

Ob nun bei Consumer Elektronik, im Möbelhaus oder beim Kfz-Händler: viele Dinge, die Menschen sich leisten wollen, sind ziemlich teuer. Wie teuer, das realisieren viele Kunden erst dann, wenn sie ganz konkret vor der Kaufentscheidung stehen. Konsumentenkredite sind hierfür mittlerweile auch in Deutschland immer häufiger die bequeme Lösung. Wer in Kooperation mit dem Händler direkt am Point of Sale einen schnellen und unkomplizierten Kreditabschluss ermöglicht, hat im Wettbewerb die Nase vorn. Die Konkurrenz wartet hier meist vergeblich darauf, dass der Kunde noch einmal zu ihm in die Filiale kommt, um ein Vergleichsangebot einzuholen.

Was in der analogen Welt gilt, trifft in der digitalen Welt ebenso zu. Der Platzhirsch im deutschen eCommerce, Amazon, bewirbt zwar nur prominent eine Kreditkarte. Viele mittlere und große Online-Händler bieten aber selbstverständlich Ratenkredite oder 0-Prozent-Finanzierungen im Check-Out-Prozess an. Dank automatisiertem Scoring-Prozess im Hintergrund bemerkt der Kunde nicht mehr als nötig vom eigentlichen Finanzierungsprozess, der für ihn ohnehin nur notwendiges Übel auf dem Weg z. B. zum neuen Smartphone ist.

Payment im Messenger

Aber nicht nur in Finanzierungsfragen müssen die Banken näher an die Kunden und ihre Erlebniswelten heranrücken. Auch im Payment-Bereich wird Banking im Kontext von den Kunden honoriert. Allerdings erweist sich Deutschland hier noch als Entwicklungsland. Immerhin: wer die Pizzarechnung mit seinen Freunden aufteilen möchte, muss mittlerweile nicht mehr mit der IBAN hantieren, sondern kann auf Apps für sogenanntes Peer-to-Peer-Payment (P2P) zurückgreifen. Letztlich ist das aber nur eine moderne Form der Produktfokussierung.

In den USA und Asien ist man hier bereits weiter. Dort ist es seit einiger Zeit möglich, solche Zahlungen direkt über gängige Messenger-Apps wie Facebook oder Wechat zu versenden. Auch Whatsapp arbeitet an einer entsprechenden Funktion. Während der Kunde also mit seinen Freunden über den netten gestrigen Abend chattet, kann im selben Medium die ausgelegte Zeche beglichen werden. In Asien, das in diesem Feld wegweisend ist, können im Messenger sogar Telefonrechnungen oder die Urlaubsreise direkt bezahlt werden. Aus dem Bankenprodukt Payment wird eine reine Funktion, die in den Hintergrund rückt.

Zahlen mit Händler-Apps

Ein anderer Ansatz sind proprietäre Apps großer Ketten oder Plattformen, in denen ebenfalls Payment-Funktionen nahtlos und quasi unsichtbar integriert sind. Wer z. B. die App des Kaffeeriesen Starbucks installiert, um Angebote und Coupons zu nutzen, der kann damit seit Längerem auch zahlen. Gleiches gilt für das in Deutschland sehr beliebte Loyalty-Programm Payback. Mit dessen weit verbreiteter App kann der Nutzer nicht nur Punkte sammeln, sondern mittlerweile bei einigen Partnern gleichzeitig bezahlen.

Auch Plattformen wie Mytaxi, Uber oder Airbnb haben Bezahlfunktionen in ihre App eingebaut. So wird es dem Kunden so einfach und bequem wie möglich gemacht, nichts soll vom eigentlichen Nutzererlebnis ablenken. Die Banken selbst verlieren hier komplett ihre Sichtbarkeit und werden zu einem reinen Dienstleister im Hintergrund degradiert.

Was Banken tun können

Dieser Bedeutungsverlust ist für viele Kreditinstitute bedrohlich, denn ohne Sichtbarkeit ist eine markenbildende Differenzierung im Wettbewerb nur schwer möglich. Ihre Produkte verkommen zu einer reinen Commodity, einem beliebigen und austauschbaren Basisgut, bei dem nur noch der günstigste Preis zählt. Was also können Banken tun, um auch zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben?

Zunächst einmal ist es wichtig, diesen tiefgreifenden Wandel der Branche überhaupt einmal zu erkennen. Einige Dienste wie z. B. das Payment werden als Erlösbringer für die Banken an Bedeutung verlieren, deshalb ist es wichtig, hier seine Prozesse auf maximale Effizienz zu trimmen. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund der PSD2-Richtlinie, durch die Drittanbieter die Infrastruktur der Banken für eigene Angebote nutzen können.

Ökosysteme sind die Zukunft

Um aber selbst wieder aktiv am Kunden erfolgreich zu sein, müssen sich die Banken selbst noch weiter verändern. Wer erkennt, welch großer Schatz die vorhandenen – und bisher kaum genutzten – Kundendaten sind, kann auf dieser Basis ganz neue Mehrwertdienste für den Kunden anbieten, bei denen eben nicht mehr das Banking selbst im Vordergrund steht. Idealerweise werden sie selbst zu Ökosystemen oder Plattformen, was angesichts der Macht von Facebook, Amazon und Co. allerdings eine Herkulesaufgabe ist.

Unmöglich erscheint es dennoch nicht. So könnte es für Banken z. B. eine Option sein, Immobilienportale zu kaufen oder zu gründen und darum herum ein Ökosystem aufzubauen. Das muss den Kunden erreichen, sobald er auf Google nach „Haus kaufen“ sucht, ihm Ratschläge rund um die Immobiliensuche bieten, Marktwertanalysen und Informationen zum Stadtteil oder Kiez und ganz am Ende des Prozesses gleich einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten. Auch auf notwendige oder sinnvolle Versicherungen kann in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, allerdings immer mit dem Fokus auf den jeweiligen Kunden, nicht auf Produkte.

Auch im Firmenkundengeschäft erscheint der Fokus auf eine ganzheitliche Lösung für den Kunden erfolgversprechend. Anstatt dem Kunden ein Geschäftsgirokonto zu verkaufen, könnten Banken eine ganzheitliche Buchhaltungslösung bieten – mit Buchhaltung, Steuerberatungssoftware und natürlich Zahlungsfunktionen. So bieten die Banken einen echten Mehrwert für die Kunden und setzen ihre Banking-Angebote in den Kontext.

Fazit

Mit dem bisherigen produktfokussierten Banking werden die Kreditinstitute ihre Kunden künftig immer weniger erreichen. Für ihre Kunden sind die Produkte der Banken eben nur Mittel zum Zweck, nötig zur Erfüllung ihrer Konsumwünsche. Nur wer das begreift und seine Dienste aus einem Kundenfokus heraus im kontextbasiert anbietet, wird auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben.

Dieser Artikel erschien als Erstes in der Print-Beilage „Digital Finance“  (2/2017) von „die Bank“ (10/2017).

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3 Kommentare

  1. Hi Tobias,

    interessante Gedanken. Ich bin komplett bei dir, dass Banken kundenzentrierter agieren sollten. Und für einige macht es durchaus Sinn in die Nische zu gehen und hier die Bankdienstleistung in den Hintergrund zu rücken.

    Ich vermute aber, dass die meisten Retail-Banken sich dennoch breit als „Bank“ positionieren, da dies immer noch der größte Markt ist und jeder Mensch wohl auch noch weit in der Zukunft mindestens ein Bankkonto haben will, wo er sein Geld verwalten kann.

    Das dieses „Geld managen“ besser werden muss und hier auch noch mehr der Fokus noch deutlich mehr auf die Kunden gesetzt werden muss ist wichtig und schon bei einigen angekommen (zumindest ist es die Vision die ich habe und wir bei Zuper (http://de.getzuper.de) gerade dabei sind umzusetzen.)

    Wie siehst du das – werden reine Retail-Banken in den nächsten Jahren noch eine Chance haben?

    • Hi Robert,

      danke für Deinen Kommentar.

      Ich glaube schon, dass es noch reine Retail-Banken geben wird, die erfolgreich sind. Aber er wird schon eine harte Auslese geben, bei der viele hinten über fallen. Wer im Retail erfolgreich sein will, der muss seine Prozesse und die Kosten im Griff haben. Der Preiswettbewerb wird extrem hart werden, gleichzeitig sieht kein Kunde mehr ein, länger als ein bis zwei Tage z.B. auf eine Kreditentscheidung zu warten. Wenn überhaupt so lange.

      Insofern stellt sich die Frage: werden es die tradierten Banken sein, die im Retail-Geschäft überleben, oder werden es neue Player wie revolut, N26 oder Monzo?

      We will see…

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